„Ihr seid hier falsch, das ist der Flieger nach Osh“, sagte die Angestellte am Check-In-Schalter des Moskauer Flughafens mit Blick auf unser Skigepäck. Doch sie hatte sich geirrt, denn von genau dort sollte unsere Reise auf die schneebedeckten Hänge des Pamir-Gebirges starten – in Kirgisistan. Nachdem wir ihr das mit Händen und Füßen klargemacht hatten, durften wir einsteigen. Wir, das sind vier Deutsche und drei Schweizer, alle jung und dynamisch und ziemliche Ski-Freaks (okay, einen Snowboarder hatten wir auch dabei) und unser Bergführer, Organisator und Witze-Erzähler Christian Hessing.

Der Autor beim Schredden im Walnusswald.

In Osh angekommen konnten wir gleich die lokale Gastfreundschaft spüren. Guide Hayat kochte uns zur Begrüßung Tee und bot uns Nüsse und Äpfel aus der Region, sowie Samsa, gefüllte Teigtaschen, an. Außerdem erzählte er uns, dass wir in dieser Woche die einzigen Skifahrer im Dorf sein würden und wir alle Hänge unverspurt vorfinden würden. Diese Nachricht wurde natürlich mit allgemeinem Jubel aufgenommen. Da alle noch etwas groggy waren (entweder, weil sie direkt von der Fastnachtsfeier in den Flieger gefallen waren, oder einfach nur in Moskau ein schlechtes Bier erwischt hatten), verschliefen wir die lange Busfahrt bis nach Arslanbob und waren dafür dann umso heißer darauf, noch am selben Tag ein paar Spuren in den frisch gefallenen Schnee im lokalen Walnusswald zu ziehen. In Arslanbob und der umgebenden Region gibt es nämlich den größten Walnusswald der Welt und die gesamte Bevölkerung lebt mehr oder weniger von dessen Erzeugnissen. So waren nach den ersten Schwüngen zwischen jahrhundertealten Baumriesen bald die Strapazen der Anreise vergessen.

Ein „ganz normales“ kirgisisches Mahl

Am Abend bezogen wir unser Lager bei Dorflehrer Mashhur und waren begeistert, wie luxuriös unsere Bleibe war. Es gab eine Heizung, Strom und sogar Louis-Vuitton-Bettwäsche, wobei die möglicherweise nicht echt war. Kaum angekommen, wurden wir schon an den Tisch gerufen und staunten nicht schlecht, was Mashhur alles aufgetischt hatte. Ja, das Essen… man könnte hier stundenlang die kirgisischen Köstlichkeiten auflisten, die uns täglich vorgesetzt wurden. Salate aus verschiedenen eingelegten Gemüsesorten aus der Region, Eintöpfe, gefüllte Teigtaschen aller Art, Nudelgerichte und natürlich immer wieder Plov, eine Art Reiseintopf mit Fleisch und Gemüse, der in rauen Mengen konsumiert wurde. Nach einem opulenten Mahl ging die Unterhaltung nur noch so: „Plov?“ „Plov!“ „Plov.“

Skilift mit 1 PS.

Am nächsten Tag wartete eine freudige Überraschung auf uns: Über Nacht hatte es ca. 50 cm Neuschnee gegeben und die Sonne schien. Also nichts wie hinauf auf den Berg. Um ein paar mehr Höhenmeter fahren zu können, ohne uns gleich am Anfang körperlich zu verausgaben, schlug Christian vor, doch mit den Pferden den Berg hochzureiten und die Beine etwas auszuruhen. Für die meisten von uns, die Sessellifte mit Sitzheizung und Kuppel gewohnt sind, war diese Form des 1-PS-Skilifts noch etwas ungewohnt. Aber wir fassten schnell Vertrauen in unsere Pferde, die zwar im Neuschnee etwas Schwierigkeiten hatten, aber insgesamt sehr schnell den Berg hochtrotteten – und Sitzheizung gab es auf dem Pferd schließlich auch! Oben angekommen gelangten wir nach einem kurzen Aufstieg auf den höchsten Punkt und fuhren laut juchzend ins Tal. Da der Schnee so tief war, dass man auf dem flachen Hang kaum vorwärts kam, wurde beschlossen, doch wieder eine steilere Abfahrt zu suchen und nach einer längeren Querung standen wir bald wieder am höchsten Punkt des Walnusswaldes, von wo aus wir, in eine riesige Wolke frischen Powder gehüllt, ins Tal schossen.

Powdern am Marmorset Hill

Schlepplift auf Kirgisisch.

Nach einer Schaschlik-Mahlzeit bei Guide Husnidin zu Hause machten wir uns auf die zweite Tour des Tages auf. Diesmal nicht auf den Pferden, sondern von ihnen gezogen ging es zum Rand des Dorfes und danach auf Skiern zum Marmorset Hill, wo wir über eine schöne Nordflanke abfahren konnten, die anderen Seiten waren durch die starke Sonneneinstrahlung schon recht aufgeweicht.

Da der Wetterbericht für die nächsten zwei Tage bombastisch war, planten wir gleich im Anschluss unser nächstes Highlight, eine 2-Tages-Tour auf den Nooruz, einen der größeren Berge der Umgebung und auch ein wichtiger Berg in der Tradition des Tals. Über seiner Spitze geht am 31. März die Sonne unter und das neue Jahr beginnt. So wurden am Morgen unser Gepäck und wir in uralten Ladas verladen, die zwar äußerlich aus der Sowjetunion stammten, dafür aber umso lautere Subwoofer im Kofferraum verbaut hatten.

 

Damit ging es dann schaukelnd und stockend – bei manchen Flussdurchquerungen musste auch schon mal geschoben werden – bis zum Ende der Straße, von wo aus wir unsere Ski anschnallten und in strahlendem Sonnenschein zur Hütte aufstiegen. Hier gab es – natürlich – erst mal eine üppige Mahlzeit und eine Lagebesprechung, wohin die Nachmittagstour gehen sollte.

Mittagessen vor der Hütte.

Da es mittlerweile sehr warm geworden war, entschieden wir uns für eine Abfahrt in Südlage, wo wir auf schönen Firn hoffen konnten. Angeführt von unserem einheimischen Guide Fasil, der stets gut gelaunt und gefühlt in Falllinie die Berge hochsprintete, waren wir bald am Gipfel und stürzten uns hinunter. Und tatsächlich – der Firn war überwältigend (siehe Titelbild). So überwältigend, dass ein Teil der Gruppe unten wieder anschnallte und die letzten Sonnenstrahlen nutzte, um nochmal in riesigen Schwüngen den Hang abzufahren. Abends am Ofen erzählte uns unser Guide dann einige lokale Legenden, den Gründungsmythos Arslanbobs (hier hatten sowohl Dschingis Khan als auch Alexander der Große die Finger im Spiel) und klärte uns ausführlich darüber auf, ob das Land Kirgistan, Kirgisistan oder Kirgisien heißt (Antwort: Es heißt Kirgis(is)tan).

Gute und interessante Gespräche auf der Hütte.

Am nächsten Morgen ging es dann nach der Überquerung einiger Bäche hoch hinauf. Auch an diesem Tag waren wir wieder mit strahlendem Sonnenschein gesegnet, wobei es im Laufe des Vormittags richtig heiß wurde. „Wieviel Grad?“ „Hangneigung oder Temperatur?“ „Beides gleich, 35 Grad!“ Doch oben angekommen machte die Aussicht auf gleich drei Gebirgszüge die Strapazen mehr als wett. Und auch die Abfahrt war mal wieder erste Sahne und wir freuten uns, dass unsere Gastgeber bei unserer Rückkehr bereits heißes Wasser zum Duschen vorbereitet hatte.

Ohne Worte.

Unser Tagwerk…

Am Bazar in Arslanbob.

Am Mittwoch wollten sich alle ein bisschen vom Sonnenbrand und den Blasen erholen, deswegen stand am Vormittag zuerst Sightseeing auf dem Plan. Auf dem Basar wurden Mitbringsel, Bier und kirgisische Filzhüte gekauft, auf dem Viehmarkt Kuhhandel betrieben und auf dem Hauptplatz uralte Autos aus Vor-Weltkriegszeiten bestaunt. Christian durfte mit Dorflehrer Mashhur in die Schule und eine Englischstunde halten und erklärte ihnen die Geographie Europas. Danach brach ein Teil der Gruppe zu einer gemütlichen Nachmittagsskitour mit einer kurzen aber wunderschönen Nord-Abfahrt auf. Am Gipfel bei grandiosem Ausblick auf das Dorf und den umgebenden Walnusswald erzählte unser Guide Lachin uns, wie das tägliche Leben in Arslanbob funktioniert, wie stark die Gesellschaft zusammenhält und was wir als Touristen tun können.
Am späten Nachmittag fuhren wir nach einer langen – und für unseren Snowboarder sehr qualvollen – Querung durch den Wald direkt bis zu einem Wohnhaus im Dorf, die sich als selbstgebaute Sauna herausstellte. Obwohl der Ofen bei jedem Windstoß zu explodieren schien, war es doch wunderbar warm in der Sauna und wer sich traute, konnte sogar ins ziemlich eiskalte Tauchbecken springen.

Der Donnerstag weckte uns mit frischem Schneefall. Da die Wolken sehr tief im Tal hingen, änderten wir kurzerhand unsere Pläne und entschieden uns, noch einmal ein paar schöne Treeruns im Walnusswald zu fahren. Unsere Spuren vom Sonntag waren auch nicht mehr zu sehen, sodass der Skigenuss wieder grenzenlos war. Den Nachmittag verbrachten wir dann mir Kartenspiel und Bier aus 1.5-Liter-Plastikflaschen.

Am Freitag zeigte sich das Wetter immer noch wechselhaft. Da es unser letzter Skitouren-Tag war, beschlossen wir, nochmal alle gemeinsam eine größere Tour anzugehen. Ziel war der sogenannte „Green Hill“. Wieder wurden wir und unser Equipment in und auf die Ladas geladen und wir fuhren zum Einstieg. Anfangs sah es noch so aus, als würde sich die Sonne durchsetzen, aber kurz vor dem Gipfel mussten wir leider kehrtmachen, da im Nebel nichts mehr zu erkennen war und wir machten uns schweren Herzens wieder an die Abfahrt.

Letzte Tour auf den Green Hill.

Doch am Fuß des Bergs angekommen hatte Guide Ladschin bereits in seinem Haus ein fürstliches Abschiedsmahl für uns vorbereitet und wir waren sofort wieder getröstet. Danach ging es mit angeschnalltem Wintersportequipment über die abschüssigen Straßen des Dorfs zurück, über Kuhfladen und Pferdeäpfel und sehr zur Verwunderung einiger Dorfbewohner und Ziegen am Straßenrand.

Samstagmorgen, nachdem alle Skitaschen gepackt und das gute Walnussöl und der Honig für zu Hause sicher verstaut waren, machten wir uns auf den Rückweg Richtung Osh. Da wir auf der Hinfahrt alle Sehenswürdigkeiten links liegen gelassen hatten, um möglichst schnell auf die Bretter zu kommen, ließen wir uns diesmal mehr Zeit und bestaunten in Usgen ein Minarett und ein Mausoleum aus dem 12. Jahrhundert, ein sowjetisches Kriegerdenkmal und tauchten ins Marktgetümmel ein.

Von USA über UK bis Osh…

In Osh bezogen wir unser Hotel und machten uns per Marschrutka auf zum Mount Solomon, ein ca. 200 m hoher Steinklotz mitten in der Stadt, auf dem sich junge Pärchen zu Dates verabreden und die Jugend-Boxmannschaft ihre Kondition trainiert und von dem aus man einen tollen Ausblick über die ganze Stadt hat. Da wir am nächsten Tag schon um zwei Uhr morgens zum Flughafen aufbrechen mussten, weil wir – wie sich später herausstellte zurecht – Angst hatten, dass die Prozedur dort ewig dauern würde, wurde auch nicht mehr sehr exzessiv gefeiert.
Tatsächlich war unser Flieger nach Moskau so verspätet, dass wir unseren Anschlussflug nach München verpassten und auf einen späteren am selben Tag umgebucht wurden.

Insgesamt hatten wir alle eine wirklich tolle und abwechslungsreiche Skitourenwoche mit tollem Schnee und vielen kulturellen Eindrücken und hoffen, dass es uns irgendwann mal wieder in dieses wunderschöne Land mit seinen großartigen Menschen und unberührten Bergen verschlägt.

Beitrag von Benedikt Zott aus München.

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Anm. der Redaktion:
Heuer starten wir im Juni ein Bike&Hike-Abenteuer nach Kirgisistan. Biken und Bergsteigen in unberührter Natur… Weitere Infos gibt es demnächst auf unserer Website.

Die Termine für 2018 für die nächste Skitourenwoche in Arslanbob stehen auch schon! Alle weiteren Infos gibt es hier.

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